Bahnwärterhäuschen
Text: Matieu Klee
Bild: Christof Hirtler
Ausgabe: Beobachter 25/03
Tag für Tag fahren Reisende durch den Gotthard Richtung Süden – am Wochenendsitz der Familie Sax vorbei, die in einem ausrangierten Wärterhaus Erholung sucht.
Wenn nur das Kirchlein nicht wäre. Dann hätten vielleicht mehr als ein paar verirrte Augen das Häuschen vorbeiflitzen sehen. Es liegt auf der falschen Bahnseite – genau vis-à-vis des berühmten Kirchleins von Wassen, das sich Reisenden auf der Gotthardstrecke wegen der Kehrtunnels aus drei verschiedenen Perspektiven zeigt.
Vielleicht übersehen die meisten Reisenden das Bahnwärterhäuschen auch deshalb, weil sich ihre Augen erst wieder ans Tageslicht gewöhnen müssen, nachdem sie aus dem 1084 Meter langen Wattinger Kehrtunnel aufgetaucht sind: 916 Meter über Meer, 24 Meter höher als beim Tunneleingang. Nur dank den Kehrtunnels – drei auf der Nord- und vier auf der Südseite – meistern die Züge die Steigung am Gotthard bei erträglicher Geschwindigkeit. Ein Meisterwerk der Bahntechnik, damals beim Bau im Jahr 1881.
Barbara und Marcel Sax kauften das ausrangierte «Bahnwärterhaus 23cs» letzten Frühling. Es liegt im 23. Bahningenieurbezirk, bei Kilometer 61.940. Die Bahndirektion liess es bauen, als die Tunnels schon acht Jahre in Betrieb und ein Grossteil der Ingenieure längst wieder abgezogen waren. Die Fensterläden zeichnen sich dunkel auf der weissen Fassade ab; die Wände sind überzogen mit einem Netz aus feinen Rissen – wie bei einer Autoscheibe nach einem Steinschlag. Die Fenster sind klein, aber doppelt verglast, die Läden mit grüner Farbe frisch gestrichen.
14.16 Uhr. Der Schnellzug 1580 von Chiasso nach Zürich braust talwärts – unmittelbar am Haus vorbei.
© Beobachter Ausgabe 25 vom 11. Dez 2003 - Alle Rechte vorbehalten
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